Yehuda Bauer, Historiker, 1924-2024

von Nicole Horn

19. November 2024

"Das Grauen der Shoah besteht nicht darin, daß sie von menschlichen Normen abwich, sondern gerade darin, daß dies nicht der Fall war."
(Yehuda Bauer, Die dunkle Seite der Geschichte, Frankfurt am Main 2001, S. 65)

Vierte Frage

von Nicole Horn

01. November 2024

Hannah Arendt formulierte in ihrem (1951 in New York und 1955 dann in deutscher Fassung erschienenen) Buch "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" hinsichtlich Holocaust drei zentrale Fragen: Was war geschehen? Warum war es geschehen? Wie konnte es geschehen?
Während wir noch immer um Antworten ringen, gilt es im Heute eine vierte Frage hinzuzufügen:
Was hat die Shoah mit mir (mit uns) zu tun?

Edith Eva Eger

von Nicole Horn

29. Juli 2024

Dr. Edith Eva Eger (geb. 1927) ist eine Holocaustüberlebende und amerikanische Psychologin.
Der Fokus ihrer Arbeit liegt auf posttraumatischen Belastungsstörungen.

Offener Diskurs - Zusammenführendes Erinnern

von Peter Daniel

07. Juni 2024

In allem und jedem war der Nationalsozialismus in der Tradition „abendländischen“ Denkens verwurzelt gewesen. So sind denn auch Holocaust, Shoah Synonyme für ein und dasselbe: für den Bruch, ja für den Zusammenbruch unserer abendländischen (aufgeklärten) Zivilisation: „Zivilisationsbruch“ (Dan Diner). Synonyme für Verlust, Abwesenheit, Leere – für etwas Universales. Daher geht dieses Thema uns alle an, betrifft uns alle, macht uns betroffen. Gemeinsam tragen wir als Gesellschaft – im Sinne einer europäischen Werte- und Normengemeinschaft – Verantwortung für eine zukunftsfähige Holocaust-Erinnerung. Ob wir nun Opfer, Täter, Widerstandskämpfer oder Mitläufer (Menschen, die bereitwillig mitmachten und andere, die mitmachen mussten, um zu überleben) in unseren Familienhistorien hatten oder aber einen Migrationshintergrund haben, liegt es an uns allen einer Erosion liberal-demokratischer Werte in Europa entgegenzuwirken.

Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann spricht sich – hinsichtlich Holocaust und unseres gemeinsamen Projekts Europa – für ein „transnationales dialogisches Erinnern“ aus, für eine „wechselseitige Anerkennung von Opfer- und Täterkonstellationen in Bezug auf eine gemeinsame Gewaltgeschichte“, denn erst so könne sich der Blick auf eine gemeinsame Zukunft öffnen [Aleida Assmann, Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention, München 2020, S. 197 und S. 200]. Aleida Assmann sieht im Zusammenführen der Täter- und Opferperspektiven in ein „dialogisches Erinnern“, im Überführen von monologischen in dialogische Gedächtnis-Konstruktionen also, die große kulturelle und politische Chance für Europa – und zwar gerade jetzt (in der 4. oder 5. Generation), wo kaum noch Täter, Opfer oder Mitläufer von Damals unter uns sind. Und gleich wie Aleida Assmann begreift auch der deutsch-israelische Historiker Dan Diner die Erinnerung an den Holocaust als Kernpunkt einer "Europäisierung Europas".

Hinsichtlich des Einbeziehens der Erinnerungen wie Erfahrungen von Migrant*innen meint Aleida Assmann, dass es unsere Aufgabe wäre „an einer neuen Erinnerungskultur zu arbeiten, die nicht eine ethnobiologische Form der Holocaust-Erinnerung in den Vordergrund stellt, sondern eine Form des Erinnerns, die das Genozidale als allgemeinmenschliche Möglichkeit voraussetzt.“ [Aleida Assmann, Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur, S. 231 nach: Susan Neiman in ihrer Rezension des Buchs "Das neue Wir" von Jan Plamper ihn zitierend, Spiegel Online vom 12.05.2019].

Nur so kann – mittels offenen Diskurses – eine Intensivierung unserer demokratischen Kultur gelingen: durch dialogisches, integratives – und damit zusammenführendes – Erinnern; jenseits aller (verständlichen) Sehnsüchte nach shared memories, wo eben auch divided memories ihren Platz haben und ausverhandelt werden [vgl. dazu auch: Richard Sennett, Disturbing Memories, in: Patricia Fara/Karalyn Patterson (Hrsg.), Memory, Cambridge 1998, S. 10ff.].

Monika Schwarz-Friesel, Mai 2024

von Nicole Horn

18. Mai 2024

Rede im Österreichischen Parlament

Sigmund Freud und das Bilderverbot

von Nicole Horn

05. Dezember 2023

„Der Mann Moses und die monotheistische Religion“ ist das letzte zu Lebzeiten publizierte Buch Sigmund Freuds, eine Art Vermächtnis: herausgegeben 1939 in Freuds Londoner Exil, in welches der zwar bewusste – sich selbst aber stets als Atheisten bezeichnet habende – Jude Freud Juni 1938 emigrieren musste bzw. konnte.

„Der Fortschritt in der Geistigkeit“ lautet die Überschrift des dritten Abschnitts (von insgesamt acht Abschnitten), in welchem Freud die Ergebnisse seines „Der Mann Moses“ zusammenfasst.
Der Ägyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann in seinem Essay „Der Fortschritt in der Geistigkeit. Sigmund Freuds Konstruktion des Judentums“ [erschienen in: Psyche. Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen (Hrsg. von Werner Bohleber), LVI. Jahrgang, Heft 2, Februar 2002, S.154ff.] dazu: „Mir scheint, dass es Freud (…) darum ging, die ‘Mosaische Unterscheidung‘ in der Form des Bilderverbots als eine entscheidende, unaufgebbare und überdies als eine zutiefst jüdische Errungenschaft darzustellen, an der es unter allen Umständen festzuhalten gilt, und dass sich seine eigene Psychoanalyse geradezu als die Fortführung dieses jüdischen Fortschritts verstehen konnte.“ Und Assmann dann weiter: „Für Freud bedeutete dieses ‘mosaische Verbot‘ den Durchbruch in eine neue Welt. ‘Es eröffnete sich das neue Reich der Geistigkeit‘. Die Verwerfung der Bilder (und damit die Verwerfung von Magie, Anm. d. Verf.), und nur sie, erschloss den Zugang in das Reich des Geistes.“

Die Verbindung von Bildlosigkeit mit Ethik beziehungsweise von Idolatrie mit Gesetzlosigkeit war für Freuds Denken zentral. Der Fortschritt in der Geistigkeit bestand für Freud in der allmählichen Entstrickung des Menschen aus den Zwängen der Idolatrie. Kurz: Sigmund Freud verstand das Bilderverbot als des Menschen Streben nach geistiger Befreiung.

Gleichzeitig erkannte wie benannte Freud aber auch das jüdische Festhalten an eben diesem biblischen Bilderverbot als eine der Wurzeln des christlichen Antijudaismus [das Christentum war für Freud zu den Bildern, zu magischen Riten (vor allem zum Opferritus der Totenmahlzeit) zurückgekehrt – für Sigmund Freud eben ein eindeutiger Rückschritt in der Geistigkeit].

85 Jahre Novemberpogrom

von Peter Daniel

08. November 2023

Die Nacht vom 9. zum 10. November 1938, in der die Nationalsozialisten mit direkten Brandaktionen gegen jüdische Institutionen in Deutschland wie Österreich („Ostmark“) eine neue Stufe der Judenverfolgung betraten, wurde von den Nazis ironisierend – nach dem in dieser Nacht zertrümmerten Glas – „Reichskristallnacht“ oder einfach „Kristallnacht” genannt.

Nicht zuletzt auf Initiative des NS-Chefpropagandisten Goebbels zerstörten im Zuge dieses Novemberpogroms – unter dem Deckmantel sogenannter „spontaner Kundgebungen” – nationalsozialistische Schlägertrupps jüdische Wohn- wie Geschäftshäuser, Friedhöfe und vor allem Synagogen. Jüd*innen wurden ermordet oder in den Suizid getrieben und tausende Jüd*innen wurden interniert: Dies waren die ersten Massenverhaftungen bloß ob ihres Jüdisch-Seins – eine Zäsur.

uns alle

von Nicole Horn

05. Oktober 2023

Auf die Frage, wen denn überhaupt die Erinnerung an den Holocaust etwas anginge, findet die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann die bestechend schlichte Antwort: uns alle. Und auf die Frage „Wer erinnert?“ ist ihre Antwort: „Diese Gruppe ist unbegrenzt.“ (Aleida Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit, 4. Auflage 2021, S. 256). Denn der Holocaust ist eben ein Menschheitsproblem.

Zivilisation und Barbarei

von Nicole Horn

26. September 2023

"Auschwitz kam nicht aus dem Dschungel, nicht aus der Steppe. Die Barbarei überfiel den modernen Menschen im Zentrum der Kultur, der Künste, der universellen Bildung und des naturwissenschaftlichen Wunders. Nur wenige Kilometer entfernt von einigen der schönsten Museen, Bibliotheken, Konzertsälen verpestete Dachau die Luft. Männer, die bei Tage folterten, Kinder erhängten, lasen abends Rilke, hörten Schubert. Das ist ein ontologisches Rätsel, das Mysterium (…) des Bösen und es stellt für mich die Zukunft des Menschen überhaupt in Frage." [George Steiner, Sprache und Schweigen. Essays über Sprache, Literatur und das Unmenschliche, 1969]